15 Jahre katholischer Missbrauchsskandal
Heute, am 14. Januar, jährt sich der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche zum 15ten Mal: Zu diesem Anlass hat Matthias Katsch, Sprecher und Geschäftsführer Eckiger Tisch, heute bei der Bundespressekonferenz eine angemessene Entschädigung für die Opfer gefordert und die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum Thema „Einrede der Verjährung“ veröffentlicht.
Am 14.01.2010 berichteten drei ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs Berlin dem damaligen Rektor P. Klaus Mertes SJ von ihrem Missbrauch. Dies löste eine Welle von Enthüllungen in katholischen Bildungseinrichtungen aus – auch am Canisius-Kolleg gab es über 60 Meldungen. Dieser Tag markiert den Beginn des Missbrauchsskandals in Deutschland.
15 Jahre später sind die Betroffenen weiterhin ohne angemessene Entschädigung und kämpfen für Gerechtigkeit. Daher fordern wir eine gerechte Entschädigung und schlagen vor, das kirchliche Anerkennungsverfahren zu einem unabhängigen Entschädigungsfonds weiterzuentwickeln.
Laut einer aktuellen Umfrage, die im Auftrag des Aktionsbündnisses repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sowie im speziellen für die Kirchenmitglieder vom Institut pollytix durchgeführt wurde, verurteilt eine überwältigende Mehrheit der Gesamtbevölkerung (87%), sowie der Katholiken (81%), dass die Bischöfe sich auf die Einrede der Verjährung berufen. Auch die Mehrheit der aktiven Mitglieder der katholischen Kirchen (62%) positionieren sich deutlich gegen die Einrede der Verjährung.
Eine breite Mehrheit hat zu dem kein Verständnis dafür, dass es sich bei sexuellem Missbrauch im Kontext der katholischen Kirche um ein Fehltaten einzelner Priester handeln soll. Demnach stimmten 93 % der Gesamtbevölkerung der Aussage zu, dass die katholische Kirche als Institution jetzt Verantwortung übernehmen muss.
Aufgrund dieser großen Zustimmung in der Bevölkerung, sammelt das Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen bereits seit Herbst 2024 auf der Plattform WeAct Unterschriften für die Petition „Keine Einrede der Verjährung in Schmerzensgeldprozessen“, in der die Bischöfe und Ordensoberen aufgefordert werden, endlich Verantwortung für die Taten ihrer Priester zu nehmen und auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Bislang haben über 80.000 Menschen unterschrieben und zeigen so ihre Unterstützung.
In der heutigen Bundespressekonferenz zogen Matthias Katsch, Astrid Mayer und P. Klaus Mertes SJ persönlich Bilanz und würdigten kritisch, was seitdem erreicht wurde. Das Gespräch am 14.01.2010 – als drei ehemalige Schüler, darunter Katsch, dem damaligen Leiter der Schule P. Mertes über den sexuellen Missbrauch, deren Opfer sie in den 70er Jahren geworden waren, berichten – bildete den Auftakt für eine beispiellose Welle der Aufdeckung sexueller Gewalt in zahlreichen katholischen Bildungseinrichtungen in Deutschland. Der Skandal erfasste in den folgenden Monaten auch andere Institutionen von den Regensburger Domspatzen bis zur reformpädagogische Odenwaldschule sowie evangelische Einrichtungen, wie die Gemeinde in Ahrensburg und die Kinderheime der Brüdergemeinde in Korntal.
Foto: Oliver Kern
P. Klaus Mertes SJ erinnerte an diesen Tag und würdigte ehemalige Schüler*innen des Canisius-Kollegs für ihren Beitrag in der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Kontext der katholischen Kirche: „Nach dem ersten Schock begriffen die Schülerinnen und Schüler des Canisius-Kollegs: Es gibt keine Aufarbeitung von sexualisiertem Machtmissbrauch in Institutionen ohne die Bereitschaft, den Preis des Imageschadens zu zahlen. Diesen Preis zu zahlen waren die Schüler bereit. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft, in der Aufarbeitung weiter voranzuschreiten. Deswegen bin ich ihnen bis heute dankbar.“
In Reaktion auf das Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche hat sich die Kirche dafür entschieden ihr eigenes System bezüglich der Entschädigung der Betroffenen aufzusetzen, indem durch ein Verfahren sogenannte Anerkennungszahlungen an die Betroffenen gezahlt werden sollen. Doch eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen sind diese nicht. Die Zahlungen fallen oft niedrig aus und das Verfahren allein ist für viele Betroffene re-traumatisierend. Die Erhöhung der Anerkennungszahlungen durch Urteile von zivilrechtlichen Schmerzensgeldprozessen hindert die katholische Kirche aktiv, indem sich die Bischöfe immer wieder auf die Einrede der Verjährung berufen.
Diesen Umgang mit den Betroffenen kritisierte Astrid Mayer, Betroffene und Mitglied der Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen: „Das Kämpfen um Gerechtigkeit bleibt aber nach wie vor bei den Betroffenen hängen. Die Diözesen missachten ungestraft und unermahnt die Vereinbarungen der deutschen Bischofskonferenz mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Der Staat hat ein Autoritätsproblem den Kirchen gegenüber, und das, obwohl die deutsche Bevölkerung längst mit den Füßen über eine Institution abstimmt, deren autoritäre Strukturen nach wie vor zum Machtmissbrauch einladen. 15 Jahre lang Bewusstsein schaffen war harte Arbeit. Für Gerechtigkeit sorgen können wir nicht auch noch selbst.“
Matthias Katsch, Geschäftsführer und Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch forderte eine angemessene und gerechte Entschädigung für die Opfer von sexuellem Missbrauch im Kontext der katholischen Kirche: „Es ist beschämend, dass auch nach 15 Jahren keine Lösung im Sinne der Betroffenen gefunden wurde. An Anläufen und Vorschlägen hat es nicht gemangelt. Stattdessen hat die Kirche aus eigener Machtvollkommenheit ein Verfahren durchgesetzt. Wenn die Bischöfe wirklich wollen, dass die Höhe der Leistungen sich an dem orientiert, was Zivilgerichte ausurteilen, müssen sie zukünftig auf das Instrument der Einrede der Verjährung verzichten, mit dem bislang weitere Entscheidungen zugunsten von Betroffenen verhindert werden. Für die Mehrzahl der Betroffenen kommt eine Klage jedoch nicht in Frage. Sie können es sich nicht leisten, sie haben keine Zeit mehr und sie wollen sich nicht erneut traumatisieren lassen.
Deshalb appellieren wir an die Kirche: Setzt euch endlich mit euren Opfern an einen Tisch, um das unzureichende bestehende kirchliche Verfahren weiterzuentwickeln, wie es bereits 2019 den Bischöfen durch eine von ihnen selbst beauftragte Expertengruppe vorgeschlagen wurde. Die im Zuge einer solchen Fondslösung zur Entschädigung einzusetzenden Entscheidungsgremien müssen unabhängig von der Kirche agieren können, unter Wahrung von Vertraulichkeit, aber mit Transparenz im Verfahren. Dazu braucht es klare Regeln und nachvollziehbare Kriterien für die Höhe von Entschädigungsleistungen, die sich an den jüngsten zivilrechtlichen Verfahren orientieren.“
Für den Fall, dass es zu keinen Gesprächen über eine Fortentwicklung des bestehenden kirchlichen Systems für Anerkennungsleistungen hin zu einer echten Entschädigungslösung kommt und die Bischöfe auch nicht bereit sind, auf das Instrument der Einrede der Verjährung zu verzichten, wird der Bundestag aufgefordert, eine vorübergehende Aussetzung der zivilrechtlichen Verjährung in Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch zu beschließen, um den Weg für Klagen freizumachen. Vorbilder dazu gibt es in einigen US-Bundesstaaten, erklärte Katsch.
Diese drei Forderungen hat Eckiger Tisch vor Weihnachten den Mitgliedern des Deutschen Bundestages in einem Brief vorgelegt und appelliert an die Abgeordneten die Betroffenen zu unterstützen. Auch im nächsten Bundestag wird Eckiger Tisch um Unterstützung werben und dazu auf die Parteien zugehen, die sich zurzeit im Wahlkampf befinden.
Falls Sie selbst von sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend im Kontext der katholischen Kirche betroffen sind, können Sie sich direkt über unser Kontaktformular an unsere Online-Beratung wenden.